20. Oktober 2020
Ihr lieben Freunde und treuen Helfer aus Xanten!
Wieder geht ein Jahr zu Ende. Es war ein wirklich eigenes Jahr. Wer hätte zur Zeit meines letzten Weihnachtsgrußes gedacht, dass sich die Welt in so kurzer Zeit so tiefgehend verändern würde? Und die Corona-Pandemie ist bei Gott noch lange nicht zu Ende. Aber trotz all der Hiobsbotschaften aus nah und fern sollten wir versuchen, das Weihnachtsfest einmal im kleinen Kreis der Familie zu feiern. Und denken wir daran, in Bethlehem erlebten Maria und Josef auch nicht gerade ein Fest: Die Geburt im Stall, weil sie kein Heim fanden, und dann – nach dem Jubel der Engel und dem Besuch der Weisen – die Flucht in das ferne Ägypten, Jahre als Flüchtlinge in der Fremde, ehe sie in Nazareth wieder eine Heimat fanden.
Und wie war nun dieses Jahr in Ndanda? Reden wir zuerst von Corona, denn da gibt es von hier etwas eigene Nachrichten. Ende März gab es in Tansania offiziell nur drei Fälle – geradezu unglaublich bei den mehrere Tausend Chinesen im Lande und den Millionen Touristen. Offensichtlich fehlte die Übersicht. Aber erstaunlicherweise handelte die Regierung radikal und befahl: Abstand halten, Masken tragen, Schluss mit Kindergärten, Volksschulen, Mittel- und Oberschulen und auch mit den Universitäten. Das galt auch für Kino, Sport und Wirtshäuser.
Für uns hier in Ndanda hatte das spürbare Folgen. Das hieß über Nacht: Schließung unserer Sekundarschule und Abreise aller 700 Schüler. Für wie lange war unbekannt. Belastender war der Abzug all der 160 Lehrlinge aus den Werkstätten und der 140 Schüler und Schülerinnen aus der Nursing-Schule. Vor allem Letztere waren neben dem Unterricht schon eine merkliche Hilfe in der Krankenpflege. Aber auch die Lehrlinge im zweiten und dritten Lehrjahr leisteten so manch gute Arbeit als Teil ihrer Ausbildung. Auch in unserem Bildungshaus gab es keine Kurse mehr.
In der Kirche gingen die Gottesdienste zwar weiter, aber am Eingang leere Weihwasserbecken, Abstand in den Bänken, kein Händeschütteln zum Friedensgruß, keine Mundkommunion. Dazu keine Pfarreitreffen, nur ganz einfache Beerdigungen, keine Kommunion- oder Firmkatechese.
Im Hospital haben wir eine kleine Isolierstation mit 12 Betten eingerichtet. Schutzkleidung ist vorhanden, wenn auch in begrenzter Stückzahl. Br. Jesaja, unser junger Chefarzt, schrieb dazu: „Wenn sich das Virus hier jedoch so wie in vielen anderen Regionen der Welt ausbreitet, dann werden unsere Kapazitäten rasch erschöpft sein.“ Aber dazu kam es nicht.
Tatsächlich hat sich nämlich Corona im Lande nur sehr langsam ausgebreitet. Es gibt den Virus, aber nicht in großer Menge. Ende Mai waren es im Lande offiziell 509 Fälle. Auch hier im Hospital gab es bis dahin 20 Fälle und auch 2 Tote. Auch bis heute sind es nur recht wenige Patienten und die 12 Isolierbetten wurden bisher noch kaum belegt. Trotzdem sind wir froh, dass der Neubau der Intensivstation in unserem Hospital gerade in diesen Tagen fertiggestellt werden konnte. Und auch die Installation der Sauerstoff-Produktionsanlage wurde vor Wochen abgeschlossen. Damit hoffen wir, dass wir auf die Ankunft des Virus in unserer Region unter den lokalen Bedingungen zumindest soweit wie möglich vorbereitet sein werden.
Aber nun nochmal zurück zur konkreten und ziemlich wirren Corona-Situation heute in Tansania: Ende Juni gab es nämlich eine große Überraschung: Präsident Magufuli verkündete offiziell, Tansania sei nun frei von Corona und das Leben gehe normal weiter. Als Folge wurden dann im ganzen Lande die Schulen wiedereröffnet, die Maskenpflicht gelockert und auch das Versammlungsverbot zurückgenommen. Und vor allem jetzt – als Vorbereitung zur landesweiten Wahl am 28. Oktober – nehmen die großen Kundgebungen bis in die Dörfer hinein kein Ende. Tatsächlich ist die Zahl von Neuinfizierten ziemlich gering. Hier in Ndanda sind es Einzelfälle und seit Mai gab es nur einen neuen Todesfall. Mal sehen, was kommt????
Auch in der Abtei sind die Einschränkungen weitgehend gelockert und vor allem unsere Schulen sind alle wieder offen. Auch sonst hatten wir in der Abtei eher ein ruhiges und gesegnetes Jahr. So konnten am 4. Juni unsere beiden Diakone Fulbert und Deogratias durch unseren Bischof Titus Mdoe zu Priestern geweiht werden. Wegen Corona war es ein eher stilles Fest. Etwas freudiger war am 11. Juli die Profess-Feier: Acht junge Mitbrüder legten nach zwei Jahren Noviziat ihre erste Profess ab. Zusammen mit ihnen machten drei Mitbrüder nach 6 Jahren zeitlicher nun ihre ewige Profess. Im Oktober gab es fünf neue Novizen und mit Br. Afrikanus auch einen neuen Diakon. Ja, es ist eine Freude, wie unsere Jungen heranwachsen, alle zwischen 23 und 30 Jahre alt, gut ausgebildet und voller Eifer zum Einsatz hier in der Abtei, in den umliegenden Diözesen und vor allem als Missionare in Mosambik.
Diese unsere Neu-Mission in Mosambik machte uns allerdings seit Mai große Sorgen. Zu Jahresbeginn war die neue Station feierlich eingeweiht worden und unsere fünf jungen Brüder hatten mit Eifer ihren Einsatz begonnen, sei es in der Seelsorge oder im Aufbau und Ausbau der Station. Und auch der Bau der Gesundheitsstation ging gut voran. Freilich war die Situation im Lande noch unsicher, denn in der Umgebung baute sich eine Bande radikaler Islam-Aufständischer auf, die vor allem in den Städten aktiv wurden und immer wieder Regierungsposten überfielen.
Am 12. Mai griffen sie dann tatsächlich unsere Mission an. Die Mitbrüder konnten sich mit Mühe in den nahen Busch retten und gingen am nächsten Tag zu der 50 km entfernten Nachbarstation. Die Terroristen plünderten das Haus, brannten den Werkstättenbau nieder und stahlen, was ihnen gefiel – inklusive des Landrovers – ehe sie sich zurückzogen. Im naheliegenden Dorf köpften sie eine ganze Reihe junger Männer, die sich weigerten, ihnen zu folgen, und warfen deren Leichen auf die Straße.
Am nächsten Tag setzten dann die Regierungstruppen den Rebellen nach, stellten sie zum Kampf und töteten – wie man hörte – 30 von ihnen. Auch das Auto wurde gefunden. Aber die Gegend bleibt unsicher. Und so ordnete der Bischof an, vorerst die Station zu räumen und wies die fünf Mitbrüder an, vorübergehend nach Ndanda zurückzukehren. Und hier sind sie bis heute, denn das Militär hat es noch nicht geschafft, die Gegend zu befrieden.
Es sind wirklich bedrückende Nachrichten. Tröstend ist dabei allerdings die folgende Nachricht: Als kurz nach ihrer Ankunft in Ndanda Abt Plazidus die fünf Mosambik-Missionare fragte, wie es nun wohl weitergehen solle, antworteten alle fünf: „Wir gehen natürlich zurück nach Mosambik und fangen neu an. Denn man braucht uns dort.“ Ja, und auch wir hoffen mit ihnen, Gott möge uns wieder Wege zeigen.
Hier im Lande hatten wir – was Politik betrifft – Gott sei Dank weitgehend Ruhe. Was im August das ganze Land bewegte, war der überraschende Tod von Ex-Präsident Benyamin Mkapa (Präsident von 1995-2005). Er war ein Schüler von Ndanda und sein Leben lang ein guter Freund. Zusammen mit Abt Dionys war ich bei seiner feierlichen Beerdigung in seinem Heimatdorf hier in der Nähe von Masasi. Die ganze Regierung und auch eine große Delegation von Zanzibar unter seinem Vorgänger Mwinyi (95 Jahre alt) überflutete das Dorf. Die Feier mit Messe (mit neun Bischöfen), vielen Reden und zum Abschluss drei mal sieben Salutschüssen dauerte ganze acht Stunden. Zum Ende hielt auch sein Nach-Nachfolger, Präsident Magufuli, eine sehr persönliche Rede. Es war alles in allem sehr beeindruckend. Ja, Mkapa war ein guter Mann, und offensichtlich auch heute noch im Lande geschätzt. Er möge ruhen in Frieden.
Und nun stehen wir auch hier vor einer neuen Wahl von Präsident und Parlament. Präsident Makufuli hat wohl gute Aussicht, für eine zweite Amtszeit wieder gewählt zu werden. Trotz oder gerade wegen seiner gewissen Härte ist er bei den einfachen Leuten geachtet. So blieb er seinem Grundsatz „Hapa kazi tu“ (bei uns zählt nur die Arbeit) treu. Das gilt auch für ihn persönlich und seine Art zu regieren. So hat er erstaunlicherweise sein Gehalt als Präsident von 15.000 auf 4.000 Euro gekürzt, die Zahl der staatlichen Feiertage reduziert, luxuriöse Auslandsreisen und Hotelaufenthalte seiner Beamten beschnitten, konsequent Steuern eingetrieben und entschlossen die allgegenwärtige Korruption bekämpft.
Freilich zeigt sich auch mehr und mehr eine gewisse Neigung zu Diktatur, gerade auch jetzt, wo nach fünf Jahren seine Neuwahl ansteht. Auf Kritik durch Presse oder Oppositionsparteien reagiert er empfindlich, doch den Großteil der Bevölkerung stört das wenig. Wichtiger ist für sie, dass die Schulbildung bis zur mittleren Reife frei ist, für die Landbevölkerung Altersversicherung versprochen und die medizinische Versorgung für Kinder und schwangere Frauen kostenlos ist. Und auch die Wirtschaft geht weiterhin gut voran. Dabei geht es vor allem um den Abbau der zahlreichen Bodenschätze, bei dem Magufuli den Großunternehmen für das Land möglichst hohe Anteile abzugewinnen sucht. Inzwischen wird aber auch die Landwirtschaft ernsthaft gefördert und entsprechende Verarbeitungsbetriebe errichtet. Straßenbau geht voran und Strom und Wasserversorgung werden verbessert. Große Sorge bereitet allerdings der auf Grund von Corona eingebrochene Tourismus. Doch da ist auch die Regierung machtlos.
Zum Schluss möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bedanken, dass Sie trotz all der eigenen Sorgen und speziell der Probleme mit Corona Ihr Interesse für uns bewahrt und uns immer wieder Ihre großherzige Hilfe bezeugt haben. Wir konnten damit wirklich vielen Menschen in Not helfen und vielen jungen Menschen beistehen, ihr Leben aufzubauen.
Dazu ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest, Hoffnung auf ein Abklingen von Corona und Gottes reichen Segen im kommenden Jahr.
Ihr + Siegfried Hertlein OSB
Abt em. von Ndanda – Tansania